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Landschaften und Spuren

»Liebe Gäste und Kunstinteressierte und liebe Freunde von Johanna Eichhorn,

ich freue mich, dass Sie so zahlreich gekommen sind und ich freue mich aufrichtig, Sie jetzt mit auf den Weg durch diese Bilderlandschaft der Johanna Eichhorn nehmen zu dürfen. Denn als ich vor zwei Tagen hierher ins Nebbiensche Gartenhaus kam, um die vollständige Hängung zu sehen und noch ein paar Gedanken zu den Arbeiten zu fassen, hat er mich nochmals richtig gepackt, dieser enorme Zyklus Landschaften und Spuren… Und ich lade Sie jetzt ein, mit allen Sinnen und Blicken auf einer kunstvollen Wanderung förmlich in diese Landschaften hineinzusteigen.

Hinein auch deshalb, weil allen gemeinsam ist, dass sie ein außergewöhnlich vielschichtiges, pastoses Naturell haben. Sie bestehen aus vielfachen Übermalungen, sind mit einer Kratz- und Entferntechnik entstanden wie sie in der Natur durch Wind, Erosion, Auswaschungen geformt sein können. Man kann sie tatsächlich mit den Augen durchdringen und wird dann feststellen, wie unter den Übermalungen noch ein Lichtstreif, eine dünnere Farbe, ein kleines Objekt oder Subjekt liegt. Die Künstlerin hat mit der Natur gespielt und – wie sie mir sagte – dabei nicht rational gedacht, sondern entworfen und hinaus gedacht. Und sie hat auch sich selbst immer weiter in ein anderes Leben hinein entworfen und neue Wege in die Phantasie und Imagination gefunden.

Dazu muss man wissen, dass sie vor zehn Jahren endgültig aus der Stadt Frankfurt in das früher nur als Wochenenddomizil genutzte Haus auf dem Land gezogen ist. Zuvor hat Johanna an den Städtischen Bühnen in Frankfurt mit Schwerpunkt Oper als Kostümmalerin gearbeitet und war es gewohnt, jeden Tag mit vielen Menschen und den unterschiedlichsten Temperamenten in einer Wechselbeziehung zu stehen.

»Vom Theater in den Ruhestand und von der Stadt aufs Dorf«, hat sie mir einmal gestanden, »das hat auch eine große Zerrissenheit und Sehnsucht ausgelöst.« Und so sind diese Arbeiten auch als seelische, geistige Reisen und Spurensuche zu verstehen…

Johanna Eichhorn hat auch ein sehr starkes Gespür für Texte und sie liebt Zitate und sammelt sie. Schauen wir also tiefer in das Terrain hinein, mit einem Zitat im Sinn, das ich für die Textliebhaberin ausgesucht habe. Es ist von Franz Marc, dem großen Expressionisten der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Er bediente sich der Stilelemente des Fauvismus, Kubismus und Futurismus und wer weiß wie stark er noch die Gegenständlichkeit seiner Bilder verlassen hätte, wenn er nicht in den Schlachtfeldern von Verdun untergegangen wäre. Denn er hatte es eigentlich vorweggenommen mit diesem Zitat, das ich Johanna gerne für diese Werke hier verehren möchte:

»Malerei ist ankommen an einem anderen Ort«.

Immer beginnt sie aus dem Dunkel unter der Erde hinauf über die Berge und in den Himmel wachsend. Unter der Erde gibt es eine enorme Verdichtung, kein wirkliches Schwarz, da sind Rillen und Gänge, kleine Vektoren wie etwa ein Pfeil, blauschimmernde Wasserkavernen vielleicht und verwittertes Moosiges. Und da sind die Leitern, die als Wege durch die Landschaft weisen, und da sind Wolkendurchbrüche und Licht, das aus dem Himmel fällt und Landschaften, die sich mit den Farben der verschiedenen Jahreszeiten eingefärbt aber auch gemischt haben. In der Imagination und dieser hohen wie träumenden Abstraktion ziehen wir dann vielleicht als Spurensucher durch die Jahreszeiten unseres Lebens und zu Sehnsuchtsorten. Und dann kann der Himmel auch zum Meer geworden sein. Oder die Landschaft wächst in den Himmel.

Solche Himmel aber sieht man wirklich nur auf dem Land, wo sie sich zuweilen in Sturmgebräu oder verrücktem Licht über die Morphologie der Erde stülpen oder über ihr zu fliehen scheinen. Und dann wird für die Künstlerin die Malerei zum Dialog mit der Landschaft selbst, die sie als Suchende durchstreift und zu ihrer neuen Heimat werden lässt.

Ich glaube, möglich wurde das, was mich an den Arbeiten so begeistert, nicht durch Disziplin allein, die man in der Kunst ja auch braucht. Es war wohl eher ein dauerhaftes Abtasten der Möglichkeiten. Und das hat zum Abschluss des Zyklus in diesem Jahr geführt. Daraus gehören zu meinen Favoriten die beiden weiß-blauen Bilder (rechts und links vom Flügel). Sie sind aus meiner Sichtam stärksten in die Abstraktion vorangetrieben. Die Leitern sind zwar noch zart als Wegweiser zu erkennen, aber schon in die Landschaft eingewachsen. »Leitern«, sagte mir Johanna beim Gespräch über diese Bilder, »sind einfach auch schöne Formen, um sie als Brücken zu nutzen.«

Brücken über das Unterirdische oder auch ins Unterbewusste. Und dann sehen wir auch diese erhabenen Craqueleformen. Sie bestehen aus verschiedenschichtigen Materialien wie schwimmende Inseln aus Geflechten, Moosen, letzten Pflanzenresten, Blättertupfen…

…Als Reisejournalistin habe ich oftmals die Leere erfahren – in Sandwüsten und im arktischen und antarktischen Eis. Und magisch zieht mich unter all den Bildern hier die Eislandschaft als das Innerste der Extreme an… So wie auf diesem winterlichen Bild wirkt ein Gletscher vom Hubschrauber aus gesehen auf die Wahrnehmung. Wellen aus Eis, blaues Leuchten unter dem Eis, schwarz-braune Reste der Tundra an den Gletscherflanken – so habe ich einmal den Illulisat-Gletscher in Grönland gesehen. Vielleicht liegt da als schwarzer Klecks eine Robbe, und ein großer Vogel fliegt hindurch, und da reißt und zerrt und zieht etwas am ganzen Gebilde und man meint, es knacken und stöhnen zu hören. Johanna Eichhorn war aber nicht in Grönland. Vielmehr kann jeder Mensch seine persönliche Landschaft in diesen Bildern finden, ganz einfach weil sie in ihrer großartigen Verdichtung der Intuition entspringten. Und das macht alle diese Bilder zur Kunst…«

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