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Noble Nächte - Kunst im Roten Wallwachhaus

Rheinischer Merkur & Brigitte Veröffentlicht 2009

Wörlitz: Im Roten Wallwachhaus des Hotel Zum Stein lebt es sich fürstlich und empfindsam.

Oft setzen gerade Künstler die Stadt Wörlitz mit dem Namen eines Architekten gleich, der gut in einer Spielshow abgefragt werden könnte. Mit der richtigen Antwort „von Erdmannsdorff“ würde man gewiss im oberen Gewinnbereich punkten, brauchte es aber nicht einmal, um sich ein paar schöne Tage im Roten Wallwachhaus des Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736-1800) zu leisten. Das klassizistische Kleinod liegt am Elbwall im Dessau-Wörlitzer Gartenreich, mit Blick auf die romantische Teichanlage des Walllochs und die Turmspitze der neugotischen St. Petrikirche. Ein vollkommenes Bauwerk, das der Natur eine perfekte Form hinzugesellt hat und ihr dabei nichts abverlangt. Sein Bauherr, Fürst Leopold III, Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, ist als Kunstliebhaber, Freigeist und fortschrittlichster Regent eines deutschen Kleinstaates in die Geschichte eingegangen. Gemeinsam mit seinem Freund von Erdmannsdorff bereiste er lieber Italien, Frankreich, die Schweiz, Holland und England als sich preußischem Schlachtengetümmel zu verschreiben. Und gemeinsam schufen sie nach den auf Reisen ermessenen Vorbildern den in Deutschland ersten und nie wieder mit solchem Stilwillen erreichten klassizistischen Landschaftspark. Pracht- und Wirtschaftsgebäude, Wasserwege, Zier- und Nutzgärten und Zitate auf Kunst und Kultur der europäischen Aufklärung und Empfindsamkeit sind im Wörlitzer Gartenreich gleich einem Lehrstück vereint. Im unabhängigen Fürstentum Anhalt-Dessau war es allen Bürgern jeden Standes zugänglich. Das während der Bauzeiten vom Fürsten bewohnte Wallwachhaus mitten im Grün dient heute dem am Gartenreich liegenden Hotel Zum Stein als besondere Außensuite.

Da säuselt am morgen das hohe Gras, die Vogelwelt schnäbelt ihr Potpourri durch die Luft, der Hotelservice radelt diskret heran und hängt den Frühstückskorb an die fürstliche Haustür. Im ideal bemessenen Souterrain dampft vielleicht schon das Badewasser aus den silbernen Armaturen eines original nachgebildeten Badezubers, während der Kaffee auf dem kleinen Küchenplatz duftet. Das zarte Pastell der mit Stuckaturen eingefassten Wände des Wohnzimmers oben wird ideal von der Sonne gewärmt. Aus dem Schlafräumchen schaut man aufs glitzernde Wasser des Sees. „Quack, quack“ und der elegante Flügelschlag eines Silberreihers, das Gezänk eines eifersüchtigen Schwans dazu... Was tut man an solchen Tagen? Nur das Angenehmste. Auf dem Elbwall kann man mit Rädern durchs Biosphärenreservat Mittelelbe treideln, das unter UNESCO Kulturerbe steht wie auch das Gartenreich. Dort hinein geht es nur zu Fuß, stundenlang über Hängebrücken und mit historischen Fähren über Seen und Kanäle oder mit Ruderkähnen zu den wundersamsten Durchblicken auf Architekturzitate in intelligent und inspirierend angelegter Natur. Auf solche Perspektiven muss sich jeder seinen eigenen Reim machen. Ob Maler, Dichter, Bettel- oder Edelmann. Das modernisierte Ensemble des Hotels Zum Stein an der durch ganz Wörlitz gezogenen Erdmannsdorffstraße hat für alle ein Herz. Sächsische Küche, bürgerlich bis raffiniert abgewandelt, dazu Weine von guten bis edlen Weingewächsen der Saale-Unstrut Region, einen Wellnessbereich, der eine Grotte im Gartenreich und die mediterranen Badegelüste des Fürsten zitiert. Vielleicht möchte man nach solchem Genuss nicht mehr durch die Nacht ins einsame Wallwachhaus radeln. Dann empfiehlt es sich, den Spuren des freimaurerischen Wörlitzer Duos aus einem der warmherzigen Zimmer des Haupthauses zu folgen. Auf allen Wegen findet ein verlorenes und zurück gewonnenes Deutschland zusammen, das - politisch mehrfach mit Füßen getreten - künstlerisch einzigartig war und ist.

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