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Weinselig am Main

Westdeutsche Allgemeine Zeitung Veröffentlicht 2011

Die Churfranken sind im Mainviereck zwischen Odenwald und Spessart zu Hause. Ihr Elixier der guten Laune ist der Wein.

An schönen Flüssen liegen besonders schöne Orte, heißt es in den Kindheitserinnerungen des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil von seiner ersten Moselreise mit dem Vater. Da erklärt er dem Jungen, dass „der Anblick eines schönen Flusses sehr beruhigt und tief in die Seele geht, und die Menschen an solchen Orten ruhig und besonnen und nicht so nervös und durchgerädert sind“.

Dieses Motiv erfüllt sich bis heute noch an einem Abschnitt des Mains. Dort, wo sich die Landlust zum Odenwald hin aufwölbt, in vielen Grüntönen schimmert und der Main schmal und geruhsam unter Weiden dahinfließt, ist man dem modernen Räderwerk entkommen und landet in Miltenberg. Das zeigt sich fast rein mittelalterlich, mit einem Fachwerkensemble voller Giebel und Erker, schmal mit winkeligen Gassen, vollkommen romantisch in einen großen Bogen des Flusses geschmiegt. Der lud schon die Römer ein, hier ihren Limeswall mit zwei Kastellen zu sichern und an den sonnigen Hängen Wein anzubauen.

Das Prunkstück Miltenbergs ist der Gasthof Riesen, ein Fachwerkjuwel aus jener Zeit als der Mainzer Erzbischof den Miltenbergern das Stapel-, Umschlags- und Geleitrecht verlieh. Das war 1368, und der Ort stieg zur bedeutenden Handelsstadt auf. „Man nennt uns hier auch die Perle des Maines“, kann man von einem Stadtführer hören. Vor einer Ausflugsgruppe von den vielen Mainschiffen, die hier landen, schwadroniert er salopp über fränkische Fachwerkschnitzereien, Neidfratzen und Handwerkerzeichen, über Hexenwahn und Hochwassergefahr. „Im Hof des Riesen konnten 100 Pferde Quartier machen“, ist zu hören. König Ludwig von Bayern, Kaiser Karl IV. und Barbarossa haben in der Giebelsuite genächtigt.

Der Gasthof wird jetzt von der alteingesessenen Bierbrauerfamilie Faust bewirtschaftet. „Als der Riesen von einer Großbrauerei gepachtet war, ist kein Miltenberger hier rein gegangen“, sagt der Besitzer, Faust Junior persönlich. Oft genug kommt er mittags herein, um zu sehen, ob die Miltenberger wieder ordentlich zusammen klüngeln, wie es ihre Art ist. Und bestens: Redselig und gut gelaunt umlagern sie die langen Holztische und laben sich an fränkischen Wildschweinbratwürsten, Miltenberger Rossäpfeln, sprich Leberknödeln mit Kraut, oder Bierbrauerpfanne an Dunkelbiersoße. Das hat im restaurierten Gewölbe etwas von mittelalterlichen Banketten in moderner Freizeitkleidung – ein Stück gerettete Nostalgie.

Weil Miltenberg während der Bauernkriege vom berühmt-berüchtigten Götz von Berlichingen mit seinem Schwäbischen Haufen verheert und das Ländchen irgendwann Bayern zugeschlagen wurde, seine Bewohner jedoch eindeutig Franken sind, bezeichnen sie sich jetzt selbst als Churfranken. Vor zwei Jahren haben sie den Verein Mainland Miltenberg-Churfranken e.V. gegründet und tun vieles, um ihre Region zu pflegen und zu beleben. Vor allem den Weinbau, der in den 80er Jahren fast zum Erliegen gekommen war.

Weich, wie hingetuscht, schimmern die Weinterrassen auf der gegenüber liegenden Mainseite. Und ihr Anblick geht tief in die Seele mit ihrer Ruhe und stillem, sonnenumhülltem Leuchten. Über Bürgstadt, Großheubach nach Kleinheubach und Erlenbach geht die Fahrt. Und wie man es hier so macht, grüßt man die Leute und redet mit ihnen und steigt in den Wingert, weil es froh macht, mitten in den Reben zu sein.

Hundert Meter über dem Tal führt ein Weinwanderweg entlang. Und immer ist irgendeiner oben, häckselt und unterhält vorbeikommende Wanderer. Auch Winzer Reinhold Hillerich, der die Steillagen des Hochbergs liebt. „Hier haben die Winzer seit Jahrhunderten eine unfassbare Leistung vollbracht. Wir haben etwa 300 Kilometer Trockensteinmauern stehen, wenn man sie aneinander reihen würde, und für jeden Quadratmeter braucht man eine halbe Tonne Sandstein“, erklärt er das Kunstwerk, huscht hier und dort durch die Rebzeilen, zeigt wie die Reben aufs Spalier gebunden werden, während sie bei fast neunzigprozentiger Steillage ins Flusstal zu fallen scheinen. Der Buntsandsteinboden gibt dem Wein seinen ureigenen Geschmack, der ganz ohne Maschineneinsatz kultiviert wird. So ist es hier oben friedlich und wie aus der Zeit gefallen geblieben.

Den Riesling für die Frische, den Burgunder für die Muse.

Am Fluss entlang öffnen die Churfranken in den Dörfern ihre rustikalen Häckerwirtschaften. Der Name, abgeleitet vom alten Wort Häcker, dem Winzer, hat seine Bedeutung nicht verloren. Bis zu 35 Mal geht Winzer Hillerich im Sommer mit der Hacke in den Weinberg. Sein Ertrag sind markige Weine wie der Bacchus, süffige wie der Riesling, fruchtige Portugieser und große Spätburgunder.

Die Gläser, mit denen man sich kollektiv in die Weinseligkeit trinkt, sind nicht eben klein. Und 250 Häcker laden entlang des Flusses zum Klüngeln ein. Allen voran die sieben Churfränkischen Weinbauvereine, die Gastronomen und Hoteliers wie Evelyn Bachmann im Landhotel zu Bürgstadt, die ihren Gästen gerne ein Elektro-Bike hinstellt und sibyllinisch anmerkt, sie würden schon sehen, wie es damit bergauf geht.

Auf den Bürgstädter Centgrafenberg, wo ein gewisser Weinfürst mit Blick auf die harmonischsten Rebenhänge residiert. Er hat in den schwierigen Jahren begonnen, mit den vielen nur noch als Hobbywinzer arbeitenden Nachbarn die verwucherten Steillagen freizulegen und den Weinbau wiederzubeleben. Wenn er einen Spätburgunder 2009 aufzieht, wird das zur Offenbarung. Den Riesling solle man zur Erfrischung trinken, den Früh- und Spätburgunder für die Muse, sagt der Fürst, nimmt einen Schluck und urteilt: „Kein tiefer, schwerer Rotwein, sondern ein eigenes Gewächs mit lichter Öffnung, der lange im Gaumen bleibt“. Das Wort himmlisch würde reichen.

Dann saust man in fröhlichen burgundischen Schlenkern zurück zum Fluss, schnuppert Hasenpfeffer und Zweierlei vom Wild und ist überhaupt nicht mehr so durchgerädert wie zuvor in der Großstadt.

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